Der denkende Mensch hat grundsätzlich die Möglichkeit, richtig oder falsch zu handeln. Welches Handeln er für sich ins Auge fasst ist seinem Gewissen überlassen, sofern das Kantische Moralprinzip (Sittengesetz) eingehalten wird.
Hierzu schreibt Immanuel Kant (1724-1804) in seiner „Kritik der praktischen Vernunft“ folgendes: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“ und folgert auf der nächsten Seite seines Werks: „Reine Vernunft ist für sich allein praktisch, und gibt (dem Menschen) ein allgemeines Gesetz, welches wir das Sittengesetz nennen“[1]
Entscheidend ist, dass wir nach der Maxime handeln, die ein allgemeines Gesetz für alle vernünftigen Wesen werden kann. Und Arthur Schopenhauer (1788-1860) erklärt auch, was er unter Vernunft versteht: „... was ein vernünftiger Mensch dem Andern sagt: das wird von diesem vernommen, und die Fähigkeit dazu heißt Vernunft. So haben alle Völker, alle Zeiten, alle Sprachen den Begriff der Vernunft gefasst, nämlich als das Vermögen allgemeiner, abstrakter, nicht anschaulicher Vorstellungen, genannt Begriffe, welche bezeichnet und fixiert werden durch Worte: dies Vermögen allein ist es, welches der Mensch vor dem Thiere wirklich voraus hat. Denn diese abstrakten Vorstellungen, Begriffe, d.h. Inbegriffe vieler Einzeldinge, bedingen die Sprache, mittelst ihrer das eigentliche Denken, mittelst dieses das Bewußtsein nicht bloß der Gegenwart, welches auch die Thiere haben, sondern der Vergangenheit und der Zukunft als solcher, und hierdurch wieder die deutliche Erinnerung, die Besonnenheit, die Vorsorge, die Absicht, das planvolle Zusammenwirken Vieler, den Staat, die Gewerbe, Künste, Wissenschaften, Religionen und Philosophien, kurz, Alles das, was das Leben des Menschen von dem des Thieres so auffallend unterscheidet.“[2]
Das Leben der Menschen ist nicht notwendig, wenn wir wollen, können wir es jederzeit beenden oder wir können es gestalten zum eigenen Wohl und / oder zum Wohl der Gesellschaft. Die Menschheitsgeschichte ist auch eine Geschichte von Gewalt, Massenvernichtung, Ausbeutung – aber auch eine Geschichte der Kulturgestaltung, wie zum Beispiel in der Technik, Kunst, Dichtung und Musik. Die Gestaltung der Zukunft zwingt uns zur Vernunft und der Kategorische Imperativ kann uns als Moralprinzip bei der Gestaltung unserer Handlungen unterstützen. Aber warum sollten wir nicht auf Immanuel Kant hören? Entscheidend hierfür ist, ob wir der Philosophie der Aufklärung über den Weg trauen oder nicht. Und was wäre die Alternative? Die Alternative wäre, uns weniger auf die menschliche Vernunft zu verlassen und unsere Handlungsweisen aus einer Offenbarungsreligion in Empfang zu nehmen. Bei den christlichen Religionen sind wir dann auf die zehn Gebote verpflichtet, die sie so gut erfüllen, wie sie können. Wenn allerdings ihr Sündenspiegel steigt, müssen sie möglicherweise mit dem Fegefeuer rechnen, das allerdings erst nach dem Tod auf sie warten wird. Natürlich könnte es auch sein, dass ihnen der gnädige Gott der Christen ihre Sünden vergibt und sie nach dem Tod im Paradies Einlass finden.
Vernunft oder Glaube, beides geht wohl nicht zusammen; denn entweder trauen wir unserer Vernunft und damit einer wissenschaftlichen Ethik oder wir glauben, was wir niemals aus der Vernunft ableiten können, nämlich an eine Offenbarung Gottes, die sich bei den Christen in ihrer Bibel manifestiert hat.
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[1] Kant, I., „Kritik der praktischen Vernunft“, Philipp Reclam jun. Stuttgart, 2008, S. 50f.
[2] Schopenhauer, A., „Über die Grundlage der Moral“, Züricher Ausgabe, Werk in zehn Bänden, Band VI, Diogenes Verlag Zürich, 1977; S. 187
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Der Kategorische Imperativ oder die Anwendung der Vernunft
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