Von der Wahrheit
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Wenn wir von der Wahrheit sprechen, so tun wir das aus der Überzeugung heraus, dass es eine Wahrheit gibt. Der Zweifel hat hierbei keinen Platz und wir gehen davon aus, dass wir diese Wahrheit mit den meisten Menschen teilen.
Es gab auch immer Menschen, die neue Wahrheiten beförderten. Denken Sie zum Beispiel an Nikolaus Kopernikus (1473-1543), Sigmund Freud (1856-1939) oder an Charles Robert Darwin (1809-1882).
Über Jahrhunderte wurde eine „Wahrheit“ von Generation zu Generation weitergegeben: z.B. Das Atom ist der kleinste Baustein der Welt. Leukipp und Demokrit, später auch Epikur (341 v.Chr.-271 v.Chr.) nahmen an, dass die kleinsten Bausteine der Welt unentstanden und unvergänglich sind. Nur nach Größe und Gestalt verschieden, sind sie in dauernder Bewegung im Raum.
Spätestens nach der Spaltung des Atoms sind wir eines Besseren belehrt worden. Durch die Kernspaltung wurde eine Kettenreaktion mit verheerenden Folgen ausgelöst, schließlich bot sie die Voraussetzung für den Bau der ersten Atombombe.
Wissenschaftler und Ingenieure müssen sich vorwerfen lassen, schlampig gearbeitet zu haben. Sie planten zwar die Herstellung und Anwendung der Kernspaltung, jedoch nicht den „Mit-Weg“ als die erforderliche Versicherung einer Rückführung in den natürlichen Kreislauf des Lebens. Anerkannte Wissenschaftler haben etwas in die Welt gesetzt, dessen Bau verantwortungslos war und bleibt. Deshalb sollten in Zukunft dekorierte Physiker wie Einstein oder Heisenberg etwas kritischer diskutiert werden. Spätesten nach dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima war für eine Bewunderung dieser Physiker der Spielraum entzogen. Das Abschieben der Verantwortung auf die Politik ist hier unzulässig und eben gleichzeitig verantwortungslos.
Es gibt auch Ausnahmen. So zum Beispiel Hans-Peter Dürr (1929-2014). Er erklärt die moderne Physik so: „Die moderne Physik kommt nun zu der überraschenden Erkenntnis: Materie ist nicht aus Materie aufgebaut! Wenn wir die Materie immer weiter auseinander nehmen, in der Hoffnung die kleinste, gestaltlose, reine Materie zu finden, bleibt am Ende nichts mehr übrig, was uns an Materie erinnert. Am Schluss ist kein Stoff mehr, nur noch Form, Gestalt, Symmetrie, Beziehung. Diese Erkenntnis war und ist nach wie vor sehr verwirrend. Wenn Materie nicht aus Materie aufgebaut ist, dann bedeutet das: Das Primat von Materie und Form dreht sich um: Das Primäre ist die Beziehung, der Stoff das Sekundäre. Materie ist der neuen Physik zufolge ein Phänomen, das erst bei einer gewissen vergröberten Betrachtung erscheint. Materie/Stoff ist geronnene Form. Vielleicht könnten wir auch sagen: Am Ende allen Zerteilens von Materie bleibt etwas, das mehr dem Geistigen ähnelt – ganzheitlich, offen, lebendig: Potenzialität, die Kann-Möglichkeit einer Realisierung. Materie ist die Schlacke dieses Geistigen – zerlegbar, abgrenzbar, determiniert: Realität.“[2]
Es könnte also sein, dass eine alte Wahrheit künftig einer neuen Wahrheit Platz machen muss. Jede Wahrheit trägt ihr eigenes Verfalldatum bereits in sich. Deshalb lautet der Wahrheitsbegriff, wie wir ihn in der Ethik der sozialen Verantwortung verwenden wollen:
Die Wahrheit ist der Rang eines Gedankens, der in sich widerspruchsfrei ist und zu allen für wahr gehaltenen Gedanken passt.[3]
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[1] Vgl. Neuhäusler, A.; „Grundbegriffe der philosophischen Sprache“, Franz Ehrenwirth Verlag, München, 2. Auflage, 1967, S. 31
[2] Vgl. Dürr, H.-P. (2010) Warum es ums Ganze geht – Neues Denken für eine Welt im Umbruch; 4. Auflage, oekum verlag (Hrsg.) Klemm, D. & Liesenbourghs, F.; München
[3] H.Denninger, „Einführung in die Denklehre“, Mitschrift von G. Keilhofer der Vorlesungen an der Fachhochschule Coburg, 1972