Arbeit und Menschenwürde
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ZWICKAU — Der feste Arbeitsplatz ist einewichtige Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben in unserer Gesellschaft. Günther Keilhofer,
Honorarprofessor für Personalmanagement an der Westsächsischen Hochschule in Zwickau, plädiert für eine neue Verantwortungsethik in
der Wirtschaft, um dieses Ziel für möglichst viele Menschen zu erreichen. Christoph Ulrich sprach mit ihm über seine Thesen.
Freie Presse: Herr Keilhofer, die Finanzkrise hat uns vor Augen geführt, wie labil unser Streben nach Wohlstand und Wachstum sein kann. Die Zocker haben die Welt in den Abgrund schauen lassen. Hat der Kapitalismus versagt?
Günther Keilhofer: Die Krise hat gezeigt, wohin die Reise geht, wenn
allein die Gier nach Rendite-Prozenten das Handeln bestimmt. Wenn nur noch die Kapitalinteressen im Vordergrund stehen, bleibt die Menschenwürde
auf der Strecke. Das darf aber nicht unser Ziel sein. Ich glaube, wir müssen unsere soziale Marktwirtschaft neu justieren. Das Recht auf Arbeit muss Vorrang bekommen.
Freie Presse: Angesichts der herrschenden Philosophie des Shareholder-Value, bei dem die Steigerung des Aktionärsvermögens im Vordergrund steht, ist das doch eher eine ferne Vision.Wie wollen Sie der Menschenwürde zu ihrem Recht verhelfen?
Günther Keilhofer: Wenn führende Manager unrealistische Renditeziele proklamieren, ist es klar, dass dort nicht sehr tiefschürfend über ein Recht auf Arbeit nachgedacht wird. Aber in unserem Grundgesetz heißt es: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das steht im Artikel 1, soll also eine unserer wichtigsten Spielregeln der Gesellschaft sein. Das müssten wir uns wieder bewusstmachen.Die Väter unseres Grundgesetzes haben offensichtlich etwas anderes gewollt. Die Wirtschaft muss sich wieder auf solche ethischen Grundlagen besinnen.
Freie Presse: Nochmal gefragt, wie kann die Würde des Menschen in unserem Wirtschaftssystem gefördert werden?
Günther Keilhofer: Das Wichtigste für die Menschen ist ein fester Arbeitsplatz. Einen Job, um den man nicht jedenTag bangen muss. Ständig drohende Arbeitslosigkeit und die Beschäftigungslosigkeit selbst sind unwürdig. Nur wer eine Perspektive hat, kann auch die nötige Bindung in der Familie schaffen, in ein eigenes Heim investieren, sich für seine Heimat entscheiden. Für mich liegt deshalb die Arbeitsplatzsicherheit im gesellschaftlichen Interesse. Das müssen wir in Zukunft viel stärker beachten.
Freie Presse: Die Realität sieht anders aus. Manager entlassen Mitarbeiter, um den Gewinn oder den Aktienkurs zu steigern.
Günther Keilhofer: Ja, das ist leider so. Ich halte es für untragbar, dass große Unternehmen, obwohl sie beste Ergebnisse erzielen, Personal abbauen, um den Profit nochmehr zu steigern.Das ist verantwortungslos gegenüber der Gesellschaft. Wir müssen da die Grundeinstellung ändern.
Freie Presse: Wie soll das gehen?
Günther Keilhofer: Als erstes müssen wir ethische Grundlagen stärker in der Managementausbildung verankern. Manager müssen lernen, ihr Handeln auch am sozialen Wohl zu messen. Wenn jemand für Tausende von Beschäftigten Verantwortung trägt, muss er soziale Kompetenzmitbringen, ohne die geht es nicht. Wir brauchen in der Wirtschaft eine neue Verantwortungsethik. Jeder muss auf seiner Hierarchieebene vernünftig und verantwortlich arbeiten.
Freie Presse: Die Unternehmen stehen im harten, globalen Konkurrenzkampf. Kann man sich da Ihre Verantwortungsethik leisten?
Günther Keilhofer: Unternehmen, die mit ihrer Belegschaft verantwortungsvoll umgehen, haben einen Wettbewerbsvorteil. Die Menschen sind motivierter, machen ihre Arbeit gern. Unternehmen sind soziale Gebilde, aus denen man nicht einfach plötzlich eine Gruppe von Personen herausschneiden kann. Das führt nur zu Phantomschmerzen, die den ganzen Betrieb lähmen. Ich glaube, es kommt auf den Willen an, dann besteht man auch mit Verantwortung den internationalen Wettbewerb.
Freie Presse: Sehen Sie denn Ansätze, dass Unternehmen sich so verhalten?
Günther Keilhofer: Bisher haben sich nur wenige dagegen gestemmt, der vermeintlichen Logik des Marktes zu folgen.Wenn es den Unternehmen gut geht, bauen sie Personal auf. Bleiben die Aufträge weg, stehen die Mitarbeiter wieder vor der Tür. Bei Volkswagen haben wir mit Arbeitsplatzsicherungs- Maßnahmen und Betriebsvereinbarungen versucht, die Schwankungen der Wirtschaft vor der Tür zu halten.Das gelingt natürlich
nicht vollständig. Aber es wurde zum Beispiel vereinbart, für eine bestimmte Zeit auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten. Das sind für mich Ansätze für ethisches Verhalten. Darin sehe ich erste Signale für eine Trendwende. Hinzu kommt, dass VW mit dieser Unternehmenskultur erfolgreich ist.
Freie Presse: Bei Volkswagen ist die Gewerkschaft stark. Die hat doch diese Vereinbarungen erzwungen, oder nicht?
Günther Keilhofer: Volkswagen lebt ganz bewusst mit der Mitbestimmung. Es geht doch heute darum, die Mitarbeiter an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Wenn man das nicht tut, braucht sich niemand über eine schlechte Arbeitsmoral zu wundern. Gute Firmen schöpfen das Potenzial ihrer Mitarbeiter aus. Die Problemlösungsprozesse, die Kommunikation im Betrieb muss optimiert werden. Hinzu kommt: Nirgendwo steht geschrieben, dass Mitarbeiter ihre demokratischen Rechte am Werkstor abgeben müssen. Leider steckt eine solche demokratische Humanisierung in vielen Betrieben noch in den Kinderschuhen.
Freie Presse: Da sind wir wieder bei der Verantwortungsethik. Ist Ethik das bessere Rezept?
Günther Keilhofer: Eindeutig ja. Wenn wir die Menschenwürde ernst nehmen, müssen wir uns doch immer zuerst fragen, was für den Menschen gut ist und nicht für das Kapital. Für mich geht deshalb Arbeitsplatzsicherheit vor Kapitalrendite. Künftig sollten wir Manager vor allem daran messen, wie sie die Jobs ihrer Mitarbeiter erhalten. Es wird Zeit, dass wir in der Wirtschaft eine Ethik entwickeln, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Vom Raubtierkapitalismus haben wir doch alle genug. Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir mit unserer sozialen Marktwirtschaft neue Wege beschreiten müssen. Die Menschen wünschen sich eine humanere Wirtschaftsordnung.
Freie Presse: Die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaftsordnung bestimmt die Politik. Was erwarten Sie von den Politikern?
Günther Keilhofer: Ich finde, das Grundgesetz hat uns den Auftrag für eine humane, menschenwürdige Wirtschaftsordnung gegeben. Das wurde bisher nur erfolgreich verdrängt. Für die Politik ist das eine große Herausforderung. Ich erwarte, dass diese Aufgabe angepackt wird. Wer als Politiker seinen
Job darin sieht, seine persönliche Altersversorgung aufzubessern, sollte sich lieber nach anderen Tätigkeitsfeldern umsehen. Für mich kommt der Treibstoff für die notwendigen Veränderungen aus der philosophischen Kernfrage: Was ist denn eigentlich der Sinn unseres Lebens und wo liegt unsere Verantwortung?
Freie Presse: Aber hilft denn Philosophie gegen Arbeitslosigkeit?
Günther Keilhofer: Ja, denn wir erkennen dadurch, dass das Recht auf Arbeit Vorrang hat. Wenn allen wirtschaftlichen Akteuren bewusst wird, dass wir der Würde des Menschen einen höheren Stellenwert als dem Kapital einräumen, haben wir viel erreicht. Dann können wir die Arbeitslosigkeit und den darin steckenden sozialen Sprengstoff besser in den Griff bekommen.
[Freie Presse - 05. November 2010]